Staande Mastroute Süd


Vom Haringvliet über Dordrecht, Gouda und Haarlem bis Amsterdam

Im Juli 2022 sind wir mit unserer „Sirius“, einer Spirit 37, den südlichen Teil der stehenden Mastroute vom Haringvliet in der Schelde bis nach Amsterdam von Süd nach Nord gefahren. Die „Staande Mastroute“ verläuft binnenwärts entlang der gesamten niederländischen Küste und erlaubt es Segelyachten mit stehendem Mast von der Schelde bis in die Ems zu gelangen, ohne je echtes Salzwasser durchqueren zu müssen. Wir haben uns für unseren Abschnitt viel Zeit genommen und waren über eine Woche unterwegs.


Begonnen haben wir diesen Reiseabschnitt in Stellendam, nachdem wir von Enkhuizen übers Markermeer, Amsterdam und den Nordzeekanal mit einem Stop in Scheveningen angereist waren.


Der Haringvliet ist mit einem Hochwasserwehr gegen die Nordsee abgeschottet, läßt aber Wasser ein und aus fliessen, so dass es dort – wenn auch verringert – noch eine gewisse Gezeitenaktivität gibt. Und obwohl er nahe bei Rotterdam liegt, ist der Haringvliet im westlichen Teil nur gering besiedelt und bietet an seinen Ufern viel Natur. Die Marina in Stellendam bietet Zugang zu einem Naturschutzgebiet und verleiht kostenlos Räder für den Supermarktbesuch. Für einen längeren Ausflug an den 30 Minuten entfernten Nordseestrand haben wir uns für zehn Euro am Tag im Hafen Drahtesel gemietet.


Landeinwärts war der folgende Halt in Hellevoetsluis eher eine Enttäuschung, der Ort war wenig belebt, die Sehenswürdigkeiten in der alten Werft geschlossen und die noch erhaltenen Festungsanlagen mochten uns nicht begeistern.
Die nächste Übernachtung in Willemstad hatte da schon mehr zu bieten. Die Stadt besteht in ihrem Grundriss immer noch von durch einen umschließenden Wassergraben geschützten Wallanlagen und die gesamte historische Altstadt ist noch erhalten, es gab einiges zu staunen und auch das kulinarische Angebot war einladend. Wir haben mit Blick auf den alten Hafen zu Abend gegessen und passend dazu den Auftritt eines Shantychores vor dem Rathaus genossen. Der im Ort gelegene Bäcker hat den Besuch abgerundet und für frische Brötchen auf dem Frühstückstisch gesorgt.
Wer Willemstad von Westen her erreichen will, muß aber ein wichtiges Hindernis überwinden: Die Haringvlietbrug. Sie wird seit 2022 aufwendig renoviert und öffnete nur eingeschränkt. Im Sommer 2022 war das unter der Woche zweimal und am Wochenende dreimal täglich. Für 2023 droht bis in den Herbst die komplette Schliessung:

(https://www.rijkswaterstaat.nl/wegen/projectenoverzicht/a29-renovatie-haringvlietbrug-beweegbare-deel).
Wer im kommenden Sommer eine ähnliche Reise unternehmen will, kann über die Roompotsluis in die Oosterschelde und von dort weiter ins Hollands Diep oder über die Maas nach Dordrecht gelangen.
Ab der Haringvlietbrug ändert sich auch das Verkehrsgeschehen drastisch: Die Volkeraksluizen spucken und schlucken Binnen- und kleinere Seeschiffe im Minutentakt. Aus dem beschaulichen Naturrevier wird eine Wasserautobahn. Weiter Richtung Landesinnere verengen sich die Fahrwasser, Segeln ausserhalb der Hauptverkehrsrichtungen wird zum Slalomakt.
Der Einfluß der Gezeiten bleibt in den Kanälen und Fahrwassern bis Gouda erhalten. Wer, wie wir, mit einer mäßig motorisierten Segelyacht unterwegs ist, ist gut beraten die Tidenströme zu beachten und seinen Fahrplan danach zu richten. Informiert haben wir uns meistens über die Strompfeile in der Navionics App, zusätzlich gibt es Strominformationen in den Kapiteln zu den jeweiligen Fahrwassern im Alamanak 2.
Unser erstes Etappenziel im Landesinneren war die Stadt Dordrecht- und hier wären wir auch schon fast gescheitert: Vor den Hafeneinfahrten spannt sich eine Eisenbahnbrücke quer über die Oude Maas. Sie öffnet normalerweise mehrmals täglich; Ende Juli war es jedoch mit über 37° so heiss, dass sich die Brücke verzog und nicht öffnen ließ. Unsere Weiterfahrt verdanken wir nur dem Einsatz zweier Löschboote, die in den Abendstunden mit ihren Wasserkanonen den Fahrwegträger herunter kühlten und um 21 Uhr – kurz vor dem Betriebsende der Hafenbrücken, die wiederum die Einfahrten zu den Sportboothäfen blockieren – die Öffnung ermöglichten. Und das alles nur für drei wartende Segelyachten.

Nach vier Stunden warten und dem Einsatz zweier Löschboote öffnet sich die Brücke


Eisenbahnbrücken, so lernten wir, bestimmen neben den Gezeiten den täglichen Fahrplan: Sie öffnen nur zu bestimmten festgelegten Zeiten, oft nur wenige Male pro Tag. Ihr Passieren muß deswegen genau geplant und die rechtzeitige Ankunft gesichert werden.

Die Eisenbahnbrücke vom Turm der Grote Kerk


Dordrecht ist eine der ältesten Städte der Niederlande und hat eine hohe historische Bedeutung: Eine Versammlung von Repräsentanten der ursprünglichen sieben Provinzen beschloß hier im Jahre 1572 einen Aufstand gegen den spanischen König und legte damit den Grundstein für unabhängige Niederlande und die Gründung eines eigenen Staates. Der Versammlungsort, das Augustinerkloster „Het Hof van Nederland“, existiert noch und ist heute ein Museum. Die Staatsgründung läßt sich hier eindrucksvoll nachvollziehen. Einen tiefen Einblick in die Historie der Niederlande gibt auch das Dordrecht Museum: Dort ist das „goldene Zeitalter“ vor allem auf gewaltigen Ölgemälden porträtiert.
Dordrecht bietet Gastliegeplätze in mehreren Jachthäfen, wir lagen im „Nieuwe Haven“ direkt unterhalb der „Grote Kerk“ und damit goldrichtig. Der Hafen ist zentral, ruhig und gut gepflegt.


Zweite Etappe: Dordrecht bis Gouda
Die Strecke von Dordrecht bis Gouda ist gut zu befahren, ist sie doch nur durch wenige Hindernisse unterbrochen: Bei Alblasserdam unterquert die Autobahn das „Noord“ Fahrwasser, es gibt aber noch eine normale Strassenbrücke, die regelmäßig öffnet. Über die „Nieuwe Maas“ geht es ein kurzes Stück westwärts bis die „Hollandse Ijssel“ nordwärts abzweigt. Kurz vor der Abbiegung gab es noch ein besonderes Bild: Eine Arche – vermutlich die Filmkulisse aus dem letzten Arche Noah Film – lag am Ufer vertäut.

Die Algerabrug überspannt das abzweigende Gewässer und ein darunter liegendes Flutwehr nebst Schleuse, beides meist offen stehend und daher leicht passierbar. Bis Gouda gibt es keine weiteren Brücken oder Schleusen und die Hollandse Ijssel windet sich als natürliches Gewässer durch Weiden und Vororte. Wir bekamen nur wenig Berufsfahrt zu sehen, wenn dann wurde es aber eng, das Fahrwasser ist schmal. Gouda selbst kündigt sich mit einem Brücken- und Schleusenkomplex an, der dann auch die Gezeitenwelle blockiert. Ab hier geht es Tidenstromfrei weiter. Wer einen längeren Aufenthalt in Gouda plant, ist möglicherweise gut beraten vor der Schleuse abzubiegen und sich einen Liegeplatz direkt in der Altstadt von Gouda zu suchen. Wir entschieden uns nur eine Nacht zu bleiben, querten die Schleuse und bogen nach rechts in den „Gemeentehaven Gouda“. Er liegt etwas ausserhalb in einem Industriegebiet und erfordert einen fünfzehnminütigen Fussweg in die Altstadt. Dieser Jachthaven ist schmal und verfügt nur über eine begrenzte Anzahl Gastplätze. Es lohnt sich zu reservieren. Der Hafenmeister war aber sehr freundlich und hilfsbereit.
Bei Restaurant Empfehlungen bin ich normalerweise zurückhaltend. In diesem Fall empfehle ich aber „de Lichtfabriek“ direkt neben dem Best Western Hotel. Die zu einem kulinarischen Genußtempel umgebaute Fabrik bietet hervorragendes Ambiente und vorzügliche Speisen. der Besuch hat sich gelohnt und die ehemalige Lampenproduktionsstätte liegt dem Jachthafen vergleichsweise nahe.
Es lohnt sich aber vor oder nach dem Essen die Mühe eines Spaziergangs in die Innenstadt auf sich zu nehmen. Gouda bietet wunderschöne Grachten, sowie einen Marktplatz mit mittelalterlichen Bürgerhäusern, inklusive des Rathauses, die alle sehenswert sind. Darüber hinaus lädt der Marktplatz mit einem weitgefächerten kulinarischen Angebot ein.


Gouda bis Braassemermeer
Hinter Gouda liegt – man ahnt es schon – eine weitere Eisenbahnbrücke, deren Passage wieder genau geplant werden muss. Danach geht es die Gouwe nordwärts durch überwiegend bewohntes Gebiet bis in das Städtchen „Alphen aan den Rijn“. Hier geht es links ab und wir folgten dem „Oude Rijn“ in einer lang gezogenen S-Kurve. Zu „Alphen“ kann ich nichts sagen; möglicherweise wäre die Stadt einen Besuch wert gewesen, geht ihre Gründung doch über 2000 Jahre bis in die Römerzeit zurück. Wir sind jedoch nicht geblieben, sondern nach dem S-Verlauf des Fahrwassers durch die City wieder nach Norden abgebogen und sind dem „Woudwetering“ ins Braassemermeer gefolgt.
Das Braassemermeer liegt im Grünen und beherbergt sieben Jachthäfen. Der Einfachheit halber steuerten wir die „Watersportvereniging Braassemermeer“ an. Der Jachthafen war schön, aber abseits aller Versorgungsmöglichkeiten. So gibt es denn hierüber auch nicht viel zu berichten.


Braassemermeer bis Haarlem
Wer das Braassemermeer nordwärts verlässt, muß schon bald eine wichtige Entscheidung treffen: Es folgt eine T-Kreuzung an der es links Richtung Haarlem und rechts nach Amsterdam weiter geht. Wir haben uns aus zwei Gründen für Haarlem entschieden: Wir kannten Haarlem noch nicht und wir konnten nicht klären, wie wir an die für die Amsterdamer Passage erforderliche Vignette kommen sollten. 2022 gab es noch keine Möglichkeit die Vignette per Kreditkarte zu zahlen und welche Abholpunkte es für eine Entgegennahme der Vignette unterwegs gab, war unklar.
Klar war: Wer ohne Vignette durch Amsterdam fuhr, hat 2022 ein Bußgeld von 95,00 € riskiert.
Richtung Haarlem folgen zunächst einige kleine Brücken, die uns aber recht lange aufgehalten haben, da sie mit geringer Priorität bedient wurden. Der „Haarlem Ringvaart“ Kanal markiert die Grenze zwischen Südholland und Nordholland und ist ein Überbleibsel des ehemaligen Haarlemer Meeres, eines ausgedehnten Binnensees zwischen Haarlem und Amsterdam, der sich aber über die Jahrhunderte immer weiter vergrößerte und schließlich beide Städte bedrohte. Die Niederländer legten das Binnenmeer daraufhin im 19. Jahrhundert kurzerhand trocken. Linkerhand folgt alsbald der Kaager Polder, umgeben von den Kaager Plassen. Die Gegend sah sehr schön aus und wer mag, findet sicher beim Jachthafen Kaagdorp einen Gastliegeplatz.
Wir fuhren weiter und legten einen Stop an der Auto- und Eisenbahnbrücke „Kaagbrug“ ein. Sie öffnet nur zu festgelegten Zeiten und oft auch nur in eine Richtung (das gilt für einige Eisenbahnbrücken. Es lohnt sich die Beschreibungen genau zu lesen).

Die Eisenbahnbrücke öffnet nur wenige Male pro Tag


Hinter der „Kaagbrug“ setzt sich die Kanalfahrt fort, bis es nach einer Bundesstrassenquerung – der „Cruquiusbrug“ – links ab nach Norden in die „Zuider Buiten Spaarne“ geht. Die Spaarne ist der Zufluss nach Haarlem und bald tauchen auch schon die ersten Vororte auf und Brückenquerungen häufen sich. Die Spaarne läuft quer durch die Haarlem Altstadt, entsprechend viel Verkehr ist sowohl auf dem Wasser als auch um die Gewässer herum. Am Ostufer gibt es hinter der „Catharijnebrug“ einen kleinen Jachthafen, dessen Einfahrt an einer davor liegenden Windmühle gut zu erkennen ist. Wer hier keinen Platz mehr findet, kann entlang der Spaarne festmachen. Stromanschlüsse sind fast überall installiert und Elektrizität und Hafengeld lassen sich unkompliziert über eine App begleichen. Die Hafenmeisterei befindet sich nördlich der „Prinsenbrug“ am Westufer.
Haarlem bietet eine quirlige Altstadt mit vielen Geschäften und Gastronomie. Ein Bummel lohnt sich allein schon um das mächtige alte Rathaus zu bewundern.


Haarlem bis Nordzeekanal
Die Weiterfahrt von Haarlem nordwärts muß wieder gut geplant werden: 2sm hinter Haarlem liegt der Spaarndammer Schleusenkomplex und wieder 500m weiter quert die Autobahn A9. Schleuse und Autobahnbrücke öffnen zeitlich aufeinander abgestimmt. Die Schleuse sammelt und so kann es in der Kammer recht voll werden. Darüber hinaus ist die Passage kostenpflichtig, es muß also von jedem Boot eine Abordnung zum Bezahlen ins Schleusenwärterhäuschen…Wer aber die Autobahnbrücke hinter sich hat, hat es auch fast geschafft. Über den „Zijkanaal C“ geht es in den Nordzeekanal und gemeinsam mit der Grossschifffahrt weiter nach Amsterdam oder Ijmuiden.
Nautische Unterlagen und Revierinformationen
Für Reisen auf der stehenden Mastroute gibt es zwei zentrale Informationsquellen: Zum einen der ANWB Wateratlas mit detaillierten Karten und ausführlichen Informationen zu jedem Befahrensabschnitt inklusive Öffnungs- und Bedienzeiten der zu durchquerenden Schleusen und Brücken. Zum anderen die Webseite „Varen doe je samen“ (Wir fahren gemeinsam), die Auskunft gibt über die Befahrensregeln und empfohlene Verhaltensweisen im Umgang mit der Berufsschifffahrt. https://varendoejesamen.nl/de

Zusätzlich lassen sich dort Broschüren, eine Navigationsapp und Karten für die stehende Mastroute herunter laden. Die Publikationen sind als Pdf in Deutsch erhältlich. Unverzichtbar, weil vorgeschrieben, ist zusätzlich der ANWB Wateralmanak 2 mit Informationen zu Fahrwassern, Brücken, Schleusen und Häfen.
Noch genauere Informationen gibt es unter https://vaarweginformatie.nl/frp/main/#/home

in niederländischer und englischer Sprache. Über eine interaktive Karte lassen sich aktuelle Schifffahrtsberichte entlang der geplanten Route abrufen.

https://www.vaarweginformatie.nl/frp/main/#/nts/map

Hinterlasse einen Kommentar